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Foto: Jean Sorrente


Foto:
© Philippe Matsas/CNL

Jean Sorrente

Jean-Claude Asselborn [geb.]
Luxemburg

Pseudonyme: J.S. ; Alphonse Maintes ; C. Malans ; Claude Méréan

Jean Sorrente, eigentlich Jean-Claude Asselborn, ist ein Luxemburger Schriftsteller belgischer Herkunft. Er studierte Romanistik an den Cours supérieurs in Luxemburg und an der Universität Straßburg, wo er 1985 mit einer Arbeit über Montaigne promovierte. Er unterrichtete Französisch, zuerst am Lycée classique d'Echternach, dann am Athenäum.

Jean Sorrente, dessen Pseudonym auf jenen Ort verweist, wo Vergil der Göttin Venus ein Opfer darbrachte, damit diese ihm zur Vollendung der Aeneis verhelfen sollte, ist ein Romanautor, Lyriker und Essayist, der das Verhältnis zwischen Realität und Fiktion hinterfragt und narrative Strukturen auf die Probe stellt. In seinen Werken registriert er verschachtelte Eindrücke, stellt eine Kontinuität in den dargebotenen Überlegungen her und arbeitet mit Selbstverweisen zwischen den Büchern; er zieht ereignisarme Handlungen, die auf Wiederholungen, Variationen und Digressionen beruhen, vor. Jean Sorrentes Romane rollen keinen Ablauf aus, sondern stützen sich auf eine sowohl physische als auch mentale Bewegung, die Motive des Umherirrens sowie der Auflösung zum Vorschein bringen. Sein von einer barocken Konzeption inspiriertes Schreiben ist durchzogen mit kulturellen Referenzen, sowohl intertextueller (durch das Evozieren von verehrten Schriftstellern, etwa Autoren der Antike, Dante, Rilke, Mallarmé, Claude Simon, Pierre Michon, Bernard Noël oder, unter den Luxemburger Autoren, Edmond Dune, nach dem die Figur des „Rune“ in La Visitation benannt wurde) als auch musikalischer (u.a. Bach) oder bildhafter Natur (u.a. durch das Evozieren von Dürer und Picasso). Darüber hinaus liefert Jean Sorrente in La Visitation eine vielstimmige Reflexion rund um das Schreiben und den Reifeprozess eines Romans. Diese Reflexion wird in den Romanen Nuits (1994) und Le Vol de l’aube (1995) fortgesetzt: zum einen durch die physische und psychologische Beengung, die ein Aufenthalt im Sanatorium mit sich bringt, zum anderen durch den Aufruhr des Zweiten Weltkrieges und die damit verknüpfte Frage der freiwilligen Kriegsmeldung in Belgien. In diesen drei ersten Werken erkundet Jean Sorrente verschiedene Prozesse der Selbsterfindung, unter anderem durch die wiederkehrende Figur des Alphonse Maintes, dessen Name dem Schriftsteller auch gelegentlich in anderen Kontexten als Pseudonym diente (etwa in Le Saint Suaire). Die Frage nach der Identität des Schriftstellers prägt die Romane bis Et donc tout un roman (2002) und regt zu Figurverdopplungen an, die oft durch Spiegelmotive symbolisiert werden und die die kontemplative sowie in kreisenden Bewegungen befangenen männlichen Figuren kennzeichnen. Obschon sie von Freunden, Geschwistern oder Frauen, die zu erotischen Szenen Anlass geben und der Kreation als Muse dienen, umgeben sind, sind diese Figuren einsam. Sie durchstreifen zahlreiche Städte, unter denen Luxemburg, neben Paris, Spa, Malmedy, Florenz oder Venedig, eine wichtige Rolle spielt, und lassen eine besondere Sensibilität für Orte erkennen. Jene Orte, seien es urbane Landschaften, die Familienbrauerei (Et donc tout un roman) oder die „librairie“, wie Sorrente in Anlehnung an Montaigne die Bibliothek nennt, entpuppen sich als Labyrinthe und als mögliche Refugien, die eine Introspektion ermöglichen.

2020 knüpft Jean Sorrente mit dem Roman La Guerre de temps wieder an die großen Themen seines Werks an. Ausgehend von der zentralen Frage nach der Kollaboration der Brüder Maintes während des Zweiten Weltkriegs in Belgien, führt der Handlungsablauf durch die Familiengeschichte von den 1930er bis in die 1990er Jahre. Während auf die Erinnerungen an die ländlichen Feste auf dem üppigen Anwesen Pomone bei Malmedy die Erschütterungen durch den Krieg und später das Echo anderer Konflikte wie der Jugoslawienkriege folgen, löst das Schicksal der Familie Maintes, der Ehefrauen, Geliebten und Kinder eine persönliche und existentielle Reflexion mit autobiografischem Charakter aus. Zahllose Fragen um die Verführungskraft einer Ideologie, den Begriff der Schuld und die Ursprünge des Antisemitismus, eingebettet in Reisen, turbulente Liebesaffären, erotische Fantasien und verwickelte Freundschaften, definieren den Prozess einer Gedächtnisarbeit, die bereits Gegenstand früherer Werke war. Durch vielfache Perspektiven und Ressourcen sowohl dokumentarischer (Fotografien, Briefwechsel...) als auch intertextueller Art unternimmt der Roman erneut den Versuch, eine unentwirrbare Vergangenheit zu ergründen und lotet die Grundlagen des Schreibens aus.

Der 2023 veröffentlichte Band Blasons d’histoire umfasst etwa fünfzig sehr kurze Prosaerzählungen, Märchen und Tagebuchfragmente. Von einer anekdotischen Situation ausgehend oder aber eine ganze Existenz in den Blick nehmend, zeichnen die kurzen Erzählungen satirische oder allegorische Porträts, deren sich wiederholenden Motive, wie etwa enttäuschte Hoffnungen, gescheiterte Ambitionen oder auch unerfüllte Wünsche, sich in einer Moral verdichten. Die eher melancholischen Märchen und Tagebuchfragmente evozieren ihrerseits Erinnerungen und setzen sich mit dem Prozess des Abschiednehmens auseinander.

Neben der Prosa schreibt Jean Sorrente auch Lyrik. 1974 veröffentlichte er seine ersten Lyriktexte in Nouvelle Europe und Proscenium. 2001 erschien sein Petit Livre d’oraisons. Cinq élégies à Luxembourg, ein mit geometrischen Vignetten von Claire Pichaud illustrierter und auf beschwörende Modulationen der Stimme zurückgreifender Gedichtband, dessen erster Teil zwischen gegensätzlichen Bewegungen der Gewissheit und Zerrissenheit, Vollkommenheit und Verzweiflung, Begeisterung und Auflösung pendelt. Der zweite Teil des Bandes liefert, wie der Titel es bereits verrät, persönliche Eindrücke der Stadt Luxemburg.

Des Weiteren zeichnete Jean Sorrente auch für nicht-fiktionale Werke verantwortlich (etwa Scolies oder Dépense), die verschiedene Formen annehmen (Kommentar, Fragment, Essay…), aber mit dem sonstigen Werk eine vergleichbare Dichte an Referenzen und literarischen sowie historischen, philosophischen, musikalischen oder bildlichen Betrachtungen teilen. Jean Sorrentes besonderes Interesse gilt der bildenden Kunst, der er sich, vor 1990 unter den Pseudonymen Alphonse Maintes, C. Malans und Claude Méréan, als Kunstkritiker widmet. Dieses Interesse wird auch in Publikationen deutlich, die dem Schreiben andere künstlerische Ausdrucksformen zur Seite stellen, wie etwa der 2002 erschienene Band Port-Royal, der unter der Ägide von Saint-Simon, Nicolas Bocquet und Pascal Fotografien von André Janssens und Texte Jean Sorrentes vereint, in denen der Blick des Autors über die Reste der Abtei von Port-Royal wandert. Der Schriftsteller wirkte auch an Monografien und Künstlerkatalogen von Robert Brandy (u.a. Robert Brandy (1982), Robert Brandy. Peintures 1971-2001 (2001), Overcovering. Robert Brandy (2006) und Une vie avant la vie. L'histoire vraie de Bolitho Blane (2013)) und Vincent Gagliardi  (Vincent Gagliardi, 1996) oder des Fotografen Lin Delpierre (Bombay sans effraction qu'intime, 2002) mit. Er pflegte darüber hinaus einen Austausch mit Künstlern wie Yvon Lambert, Marie-Paule Feiereisen, Bertrand Ney, Jean-Marie Biwer, mit dem er 1989 das Buch Le Saint Suaire herausgab, sowie Robert Brandy, mit dem er 2009 Ondes und 2020 Robert Brandy. Une œuvre veröffentlichte, wobei letzteres insbesondere Texte versammelt, die dem Maler über einen Zeitraum von fast vierzig Jahren gewidmet waren, einige davon in überarbeiteter Form.

Jean Sorrente lieferte zudem zahlreiche Beiträge für Sammelbände, unter anderem für mehrere Ausgaben aus der Reihe der Walfer Bicherdeeg (2003, 2005, 2009, 2010) und der Reihe aphinités des Verlags Phi (z.B. Où demeurer ailleurs que là (2007) und Jours enfantins au royaume du Luxembourg (2010)) sowie für Anthologien, etwa Le Pays aux trois frontières (2002) oder e-gutenberg (2014). Weitere literarische Texte wurden in luxemburgischen (Les Cahiers luxembourgeois, Galerie, nos cahiers, Estuaires) und ausländischen (Europe) Zeitschriften veröffentlicht. Zahlreiche Kritiken und Chroniken erschienen in Luxemburg (im Luxemburger Wort, im Tageblatt und in dessen Beilage Livres-Bücher sowie in Kulturissimo) und in Frankreich (im Républicain lorrain und in Réforme, Humanisme, Renaissance). Der Autor unterhielt von 2001 bis 2019 eine regelmäßige Chronik (La chronique de Jean Sorrente, danach Le point de vue de Jean Sorrente und Contre-notes) im Le Jeudi, in der er gesellschaftliche, philosophische oder politische Themen behandelt.

Sein Roman Nuits wurde 2003 ins Polnische (Noce) übersetzt. Auszüge seiner Werke (u.a. aus La Visitation, Vol de l’aube und Et donc tout un roman) wurden in Zeitschriften wie abril und Krautgarten sowie in Sammelbänden wie der Anthologie de littérature luxembourgeoise de langue française/Antologie de literaturặ luxemburghezặ de limba francezặ (2004) ins Spanische, Deutsche und Rumänische übersetzt.

Jean Sorrente, der Mitglied des LSV bis zu dessen Auflösung im Jahr 2016 war, erhielt 1993 den Prix Tony Bourg für Nuits. 1998 wurde Le Vol de l'aube mit dem Prix de la Libre Académie de Belgique, deren Mitglied er ist, ausgezeichnet. 2003 erhielt Jean Sorrente den Prix Servais für Et donc tout un roman.

Dieser Artikel wurde verfasst von Gast Mannes und Ludivine Jehin

Veröffentlichungen

Übersetzungen

Mitarbeit bei Zeitungen

  • Titel der Zeitschriften
    abril
    Verwendete Namen
    Jean Sorrente
  • Titel der Zeitschriften
    Cahiers luxembourgeois (Les). revue libre des lettres, des sciences et des arts
    Verwendete Namen
    Jean Sorrente
  • Titel der Zeitschriften
    Estuaires. Revue culturelle
    Verwendete Namen
    Alphonse Maintes
    Jean Sorrente
  • Titel der Zeitschriften
    Europe. revue littéraire mensuelle
    Verwendete Namen
    Jean Sorrente
  • Titel der Zeitschriften
    Galerie. Revue culturelle et pédagogique
    Verwendete Namen
    Jean Sorrente
  • Titel der Zeitschriften
    Jeudi (Le). l'hebdomadaire luxembourgeois en français
    Verwendete Namen
    Jean Sorrente
  • Titel der Zeitschriften
    Krautgarten. Forum für junge Literatur im deutschen Sprachgebiet
    Verwendete Namen
    Jean Sorrente
  • Titel der Zeitschriften
    Lëtzebuerger Journal / Letzeburger Journal / Journal / LJ. Politik, Finanzen a Gesellschaft
    Verwendete Namen
    Jean Sorrente
  • Titel der Zeitschriften
    Livres-Bücher. Un supplément du Tageblatt
    Verwendete Namen
    J.S.
  • Titel der Zeitschriften
    nos cahiers. Lëtzebuerger Zäitschrëft fir Kultur
    Verwendete Namen
    Jean Sorrente
  • Titel der Zeitschriften
    Nuova Europa = Nouvelle Europe = NEeuropa. arts, letters, science
    Verwendete Namen
    Jean Sorrente
  • Titel der Zeitschriften
    Proscenium. Revue Littéraire
    Verwendete Namen
    Jean Sorrente
  • Titel der Zeitschriften
    Républicain Lorrain. est-journal. grand régional d’information, quotidien indépendant
    Verwendete Namen
    Jean Sorrente

Sekundärliteratur

Auszeichnungen

Mitgliedschaft

  • LSV - Lëtzebuerger Schrëftstellerverband [1986-2016]

Archiv

  • CNL L-291
Zitiernachweis:
Mannes, Gast/Jehin, Ludivine: Jean Sorrente. Unter: , aktualisiert am 07.03.2024, zuletzt eingesehen am .