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Foto: Rafael David Kohn


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© Philippe Matsas/CNL

Rafael David Kohn

Rafael Kohn
Esch/Alzette

Rafael Kohn besuchte die Grundschule in Schifflingen, bis 1998 das Lycée de garçons in Esch/Alzette, anschließend das Athénée Royal de Neufchâteau (B) und machte sein Abitur am Institut Sainte-Marie d’Arlon (B). Er studierte zunächst von 2003 bis 2004 an der Universität in Trier Politikwissenschaften und Geschichte, bevor er am Théatre du Centaure in der Licht- und Tontechnik in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme arbeitete und schließlich an der Universität der Künste Berlin von 2006 bis 2010 den Abschluss im Fach Szenisches Schreiben für Theater, Hörspiel und Drehbuch machte. Seit 2010 arbeitet er als freier Autor und Regisseur in Luxemburg, Sibiu, Lomé (Togo) und Konstanz. Rafael David Kohn war mehrmals Regieassistent unter Wolfram Mehring in Konstanz und unter Charles Muller im Escher Theater. 2018 inszenierte er das Debütstück Escher Meedchen von Mandy Thiery.

Rafael Kohn debütierte mit französischer Lyrik, die er als Schüler zwischen 1998 und 1999 in der von ihm organisierten Veranstaltungsreihe Alchémistes du verbe im Café L'Alchémiste in Esch/Alzette vortrug, wo u.a. auch Massimo Sartini seine literarischen Anfänge machte. Es folgten Poetry Slams in der Kulturfabrik Esch. Kohn veröffentlichte 2010 die Erzählung Orchestergrab in der Anthologie der Walfer Bicherdeeg. 2017 erschien die Erzählung Che Guevara war ein Mörder über die Prekarität eines Arbeitslosen, dessen Ängste, Hass, Frustration sowie Wahn- und Gewaltvorstellungen ein zerrüttetes Verhältnis zur Konsumgesellschaft und zum Sozialstaat offenbaren.

Rafael Kohn schreibt Drehbücher und Theaterstücke. Beim Stückemarkt in Mersch 2008 wurde das Stück Kadaver vorgestellt, das als Hörspiel auf Radio 100,7 gesendet wurde. In der Hörspielreihe von Radio Berlin-Brandenburg erschienen 2009 Fünf Tage mit der Black Sheep Army – Wir sind unter Euch über eine Gruppe Unruhestifter in Berlin sowie 2012 das Hörspiel Lilith, eine Neuinterpretation des biblischen Schöpfungsmythos aus der Genesis. Das Dramulett Bushmeat über ein Fleischerehepaar in Tansania wurde 2009 am Schauspielhaus in Gera aufgeführt. Im selben Jahr folgte eine szenische Lesung von Lupenrein am Berliner Arbeitertheater (Studiobühne der Ernst-Busch-Hochschule) und am Maxim Gorki Theater (Berlin). Lupenrein wurde 2011 am theater 89 in Berlin und 2012 im Théâtre national du Luxembourg (TNL) aufgeführt. Das Stück übersetzte Ian De Toffoli unter dem Titel Pur  à la loupe ins Französische. 2011 inszenierte Jérôme Konen die Collage Le Rôle qui je suis über die Frauenfiguren Medea, Gretchen, Lady Macbeth, Nora, Cate (von Sarah Kane) und Mutter Courage am Kulturhaus Niederanven und in der Kulturfabrik in Esch/Alzette. Im selben Jahr führte Rafael Kohn wie bereits bei Lupenrein auch in seinem Stück Flaschenbrand Regie, das 2011 in der Kulturfabrik in Esch/Alzette und in den Sophiensaelen in Berlin aufgeführt wurde. Im Escher Theater wurde  das Stück Waffensalon unter seiner Regie 2011 aufgeführt. Waffensalon wurde neben Guy Helmingers Stück Das Leben hält bis zuletzt Überraschungen bereit auf Vorschlag von Charles Muller, Frank Feitler und Olivier Ortolani von der European Theatre Convention in die Liste der 119 Best Contemporary European Plays des Jahres 2012 aufgenommen. 2016 wurde das von Kohn und einem sechsköpfigen togolesischen Autorenteam geschriebene Stück One Coup for Kaiser über die deutsche Kolonisation in Togo, den Eisenbahnbau, die Zwangsarbeit und das Aufbegehren dagegen gemeinsam von der Theatercompagnie Louxor aus Lomé und dem Konstanzer Theater in Lomé aufgeführt. Kohn arbeitet wiederholt mit dem togolesischen Regisseur Alfa Ramsès zusammen. Rafael David Kohn schrieb im Auftrag der Gewerkschaft OGBL das an die Brecht’sche Tradition des Lehrstücks erinnernde Politdrama De roude Fuedem (2018), das vor dem Hintergrund der erschwerten Arbeitsbedingungen im Betreuungsbereich sowie des Lebens in der Arbeitslosigkeit und im Prekariat den Arbeitskampf anmahnt. Das Stück, das einige thematische und motivische Anleihen bei der Novelle Che Guevara war ein Mörder macht, reflektiert die Entfremdung im neoliberalen Wirtschaftssystem und prangert das Primat des Geldes vor dem Menschen an.

2019 wurde Kohns Stück Ngunza – Der Prophet am Konstanzer Theater aufgeführt, ein Stück, das in der Kolonialzeit der belgischen Zwangsherrschaft im Kongo angesiedelt ist und in dem der Autor Themen wie Gewalt, deren Konsequenzen und die Möglichkeiten des Widerstands erörtert. 2022 schrieb und inszenierte Rafael David Kohn eine Adaptation von Euripides’ Tragödie Medea in englischer Sprache an den Theatern der Stadt Luxemburg. Hier kehrt Kohn zu den Ursprüngen der griechischen Tragödie zurück. Das Stück ist im antiken Griechenland vor 2500 Jahren verortet und lotet die menschlichen Abgründe und die tragischen Ereignisketten aus, die schließlich zu Medeas Kindsmord führen. 2023 wurde Kohns Theaterstück Penitence von der Truppe von Collateral Drama im Kulturhaus in Mersch aufgeführt. Das Stück verhandelt Fragen der Schuld, der Ethik und Moral, des Glaubens sowie der Grenzen der Wirkmächtigkeit des Priesters in der katholischen Kirche und hinterfragt dabei zeitgenössische Vorurteile über die Priesterschaft.

Rafael David Kohn hat die TNL-Autorenresidenz in der Saison 2018/2019 inne. In diesem Rahmen wurde das Stück Demandez au président, das bereits 2017 in einer szenischen Lesung am Theater Konstanz aufgeführt wurde, erneut vorgetragen. Vor dem politisch zeitaktuellen Hintergrund der verfassungsmäßig nicht geklärten dritten Kandidatur des burundischen Präsidenten und der Beschlagnahmung journalistischer Dokumente ausländischer Reporter entwickelt das englisch- und deutschsprachige Stück in einem Gespräch zwischen dem fiktionalisierten Präsidenten und einer deutschen Journalistin eine Reflexion über die Macht der Presse, Berichterstattung und Wahrheit sowie über politische Macht und den Diskurs über Menschenrechte und Kolonialvorstellungen. In der als Farce ausgewiesenen Tragödie Die Nacht vor Crécy, die ebenfalls im Rahmen der Hausautorenschaft im Juni 2019 im Théâtre national du Luxembourg uraufgeführt wurde, entwickelt Rafael David Kohn den Konflikt zwischen dem Vater Johann dem Blinden und dem Sohn Karl IV. vor dem Hintergrund eines politischen, mentalitätsgeschichtlichen und systemrelevanten Zeiten- und Paradigmenwechsels. Dem Lebemann, Draufgänger und dem Rittertum verpflichteten Herrscher Johann, der als Traditionalist und grausamer Krieger gekennzeichnet ist, wird der für ein Zeitalter der Vernunft und der Künste stehende Rationalist Karl IV. gegenübergestellt, der Handel und Handwerk fördert, die Untertanen als Menschen begreift und Politik als Feld von Diplomatie, Klugheit und Strategie versteht. Rafael David Kohn lotet in seinem ersten historischen Drama die Möglichkeiten des Handelns und die Freiheit der Entscheidung aus. 2021 folgt eine Residenz am Literarischen Colloquium Berlin.

Kohn schreibt politisches Theater und verhandelt Themen der Weltpolitik. Er versteht das Theater als jenes Medium, das über die Hintergründe von medialisierten Ereignissen aufklärt und Strukturen und Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik aufweist. Während Lupenrein zur Zeit des Bürgerkriegs in Sierra Leone spielt und politische Zusammenhänge in den globalisierten Vernetzungen darstellt, beleuchten Flaschenbrand und Waffensalon Formen des politischen Widerstandes in westeuropäischen Gesellschaften, in Berlin und in Luxemburg, und thematisieren die Wirtschaftskrise, die Occupy- und Indignez-vous-Bewegung sowie das Alltagsleben des Prekariats. Alle Stücke von Kohn verhandeln die Auswirkungen der politischen Radikalisierung Einzelner auf die menschliche Kommunikation und auf Formen sozialer Zusammengehörigkeit. Kohn versteht in seiner Rede vom Theater (2017), einem programmatischen Text über die Aufgaben des Theaters, das Theater als politisches Wirkungsmedium und als Ort, in dem das Mögliche, nicht das Wahrscheinliche verhandelt wird und in dem der Mensch in archetypischen Konstellationen beschrieben wird. Gegen das Regietheater gewandt orientiert er sein dramatisches Schaffen am Schauspieler und am Publikum, das die in seinen Stücken verhandelten Strukturen der Opfer-Täter-Rollen kritisch hinterfragen soll. 2020 erschien zudem Kohns Rede zur Literatur unter dem Titel Meine Texte sind Suchen nach dem Archetypischen. In seinem Essay erörtert Kohn die Fundamente seines Schreibens. Laut Kohn entsprechen seine Texte der Suche nach dem Ursprünglichen und dem Wesen des Menschseins.

Dieser Artikel wurde verfasst von Claude D. Conter und Pascal Seil

Veröffentlichungen

Mitarbeit bei Zeitungen

  • Titel der Zeitschriften
    Cahiers luxembourgeois (Les). revue libre des lettres, des sciences et des arts
    Verwendete Namen
    Rafael David Kohn

Sekundärliteratur

Auszeichnungen

Archiv

  • CNL L-363
Zitiernachweis:
Conter, Claude D./Seil, Pascal: Rafael David Kohn. Unter: , aktualisiert am 10.01.2024, zuletzt eingesehen am .