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Foto: Gordian Troeller


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© Wolfgang Osterheld

Gordian Troeller

Charles Troeller [geb.]
Pierrevillers (damals D, heute F) () Hamburg ()

Charles, genannt Gordian, Troeller stammt aus einer Hugenotten-Familie, die sich Ende des 19. Jahrhunderts in Bonneweg niederließ. Er wuchs zunächst in Luxemburg, dann in der Schweiz, in Frankreich und in Deutschland auf. Aufgrund der Machtübernahme Hitlers zog die Familie 1933 erneut nach Luxemburg. Ohne einen Schulabschluss verließ Troeller 1937 das Großherzogtum, um sich im Spanischen Bürgerkrieg den Republikanern anzuschließen. An Kampfhandlungen war er allerdings nicht beteiligt. Nach der Besetzung Luxemburgs durch die Nationalsozialisten im Mai 1940 flüchtete er mit der deutschen Jüdin Ruth Kahn zunächst nach Frankreich, wo er Kontakte zur französischen Résistance aufnahm. Durch ihre Heirat in Marseille konnten beide als Luxemburger über Spanien nach Portugal fliehen. In Lissabon baute er mit der Unterstützung des holländischen Geheimdienstes eine Untergrundorganisation auf, die politisch und rassisch Verfolgte aus den von den Nationalsozialisten besetzen Gebieten Europas nach Portugal und England schleuste. An dieser Organisation waren auch die Luxemburger Norbert Gomand in Madrid und Henri Koch-Kent in London beteiligt. Nach dem Krieg kehrte er kurzzeitig nach Luxemburg zurück, um gemeinsam mit Gomand die Wochenzeitung L’Indépendant herauszugeben. Das Kampforgan prangerte die Verfehlungen der Luxemburger Exilregierung an, was dazu führte, dass die Zeitung schließlich aufgrund diverser von der Regierung angestrebter Presseprozesse in Luxemburg eingestellt wurde und Troeller das Land endgültig verließ.

In den Nachkriegsjahren schrieb er als freier Journalist für verschiedene Zeitungen Auslandsreportagen über Spanien, Italien, Iran oder den Nahen Osten. Prägend für seine Karriere war die Bekanntschaft mit seiner späteren französischen Lebensgefährtin Marie-Claude Deffarge im Jahr 1948, mit der er bis an ihr Lebensende 1984 ein kontinuierlich um den Globus reisendes Reporterteam bildete. 1958 veröffentlichte das Paar seinen ersten Bildband Persien ohne Maske, auf den 1969 das Reisebuch Yémen 62-69. De la révolution "sauvage" à la trêve des guerriers folgte. 1959 kam Troeller im Anschluss an eine kurze Anstellung als Redakteur und stellvertretender Chefredakteur der Münchener Illustrierten Revue zum Wochenmagazin Stern, für das er mit Deffarge in zehn Jahren über 80 Bildreportagen verfasste. Indem es u.a. am Beispiel großer Industrienationen wie den USA oder Frankreich, aber auch internationalen Konzernen oder der Kirche einen systemkritischen Blick auf das westliche Wirtschaftsmodell und dessen destruktiven Einfluss auf die Gesellschaften von Entwicklungs- und Kolonialländern warf, erarbeitete sich das Paar über die Jahre hinweg den Ruf zugleich streitbare und kontroverse Spezialisten der Dritten Welt zu sein. Im Kontext der Stern-Reportagen enstanden erste Dokumentationen, die von verschiedenen europäischen Fernsehanstalten gesendet wurden. Ab 1974 arbeitete Troeller nur noch als Dokumentarfilmer für Radio Bremen, für das er teils in Zusammenarbeit mit Deffarge 70 in der ARD ausgestrahlte Filme produzierte: die Serienreihen Im Namen des Fortschritts (1974-1984) über die Schattenseiten westlicher Ideologie und Entwicklungshilfe, Frauen der Welt (1979-1983) über soziale Auswirkungen der patriarchalischen Ordnung und Kinder der Welt (1984-1999) über familiäre Machtverhältnisse und Verarmungsprozesse insbesondere in Drittweltländern. Zum Abschluss der Reihe Frauen der Welt wurden die kommentierten Bildbände Frauen der Welt (1984) und Die Herren. Ein Pamphlet gegen Männerherrschaft (1985) veröffentlicht. 1987 heiratete Troeller Ingrid Becker-Ross, die er als Studentin gegen Ende der 1960er Jahre kennenlernte und die an der Entstehung zahlreicher Filme beteiligt war.

Gordian Troeller begann mit der Niederschrift seiner Autobiografie Antifaschist. Anarchist. Journalist. Gordian Troeller berichtet (2009) im Alter von 83 Jahren kurz vor seiner Krebserkrankung. Das unvollständige Manuskript wurde posthum von Ingrid Becker-Ross-Troeller herausgegeben. In seinen Memoiren bezeichnet Troeller eingangs die Kritik am westlichen Fortschrittsimperialismus als sein Lebensthema. Die Erfahrungen als Widerständler während des Spanischen Bürgerkriegs und im Zweiten Weltkrieg werden nicht nur als eine Voraussetzung für die spätere Karriere als Reisejournalist, sondern auch für dessen ideologisch-philosophische Herangehensweise als sich gegen die Mächtigen und Reichen engagierender Anarchist dargestellt. Die Beschreibung der beruflichen Entwicklung vom freien Korrespondenten über den Fotoreporter zum Dokumentarfilmer geht einher mit Reflexionen über den Beruf des Journalisten und der zentralen Frage nach objektiver Berichterstattung in unterschiedlichen Medien. Aus akademischer Sicht ein Autodidakt bekennt sich Troeller in Bezug auf seine textlastigen Dokumentarfilme zu einem sich nicht in das gefilmte Geschehen einmischenden Beobachtungsjournalismus. Ferner geht er auf sein Verhältnis zu den jeweiligen Chefredakteuren Peter Boenisch (Revue), Henry Nannen (Stern) und Gerd von Paczensky (Radio Bremen) ein. Ingrid Becker-Ross-Troeller hat die anekdotenreichen und teils selbstkritischen Ausführungen durch viele umfangreiche Passagen aus den ursprünglichen Reportagen erweitert und die Lesbarkeit durch ein nach Themen, Ländern und Jahren geordnetes Inhaltsverzeichnis erhöht.

Für seine Verdienste als Journalist wurde Gordian Troeller neben vielen anderen Auszeichnungen dreimal der Adolf-Grimme-Preis verliehen, 1992 mit der Besonderen Ehrung für sein Lebenswerk. Für die Reihe Kinder der Welt erhielt er 1992 den Deutschen Kritikerpreis. Bei der ersten Ausgabe des Lëtzebuerger Filmpräis in seinem Todesjahr 2003 wurde er posthum mit dem Prix d’honneur für sein Gesamtwerk ausgezeichnet.

Dieser Artikel wurde verfasst von Tim Reuter

Mitarbeit bei Zeitungen

  • Titel der Zeitschriften
    Indépendant (L'). grand quotidien d'information du matin
    Verwendete Namen
    Gordian Troeller
  • Titel der Zeitschriften
    Revue (München)
    Verwendete Namen
    Gordian Troeller
  • Titel der Zeitschriften
    Stern. Magazin
    Verwendete Namen
    Gordian Troeller

Sekundärliteratur

Zitiernachweis:
Reuter, Tim: Gordian Troeller. Unter: , aktualisiert am 21.11.2022, zuletzt eingesehen am .