Michel Lentz
Als Sohn eines Bäckermeisters besuchte Michel Lentz nach der Primärschule der Stadt Luxemburg ab 1833 das Athenäum, wo er 1840 das Abitur bestand. Anschließend studierte er ein Jahr lang Philologie an der Université libre de Bruxelles. 1842 entschied er sich für den Staatsdienst, zunächst als Beamter im Sekretariat der Regierung und ab 1869 in der Rechnungskammer, wo er bis zum Regierungsrat aufstieg. Nach 50 Jahren Dienst trat er 1892 in den Ruhestand. Nahezu ganz erblindet starb er ein Jahr später nach einem geregelten Leben. Ihm wurde als Nationaldichter die Ehre eines Staatsbegräbnisses zuteil, bei dem Staatsminister Paul Eyschen die Leichenrede hielt. Im Jahre 1903 wurde auf der Place d'Armes in Luxemburg ein gemeinsames Denkmal für Michel Lentz und Dicks errichtet.
Michel Lentz schrieb Gedichte und Lieder überwiegend in luxemburgischer Sprache. 1846 begann er mit der anonymen Veröffentlichung von satirischen und zeitkritischen Gedichten in der liberalen Zeitung Courrier du Grand-Duché de Luxembourg. Die allermeisten seiner Gedichte erschienen zu Lebzeiten in den beiden Sammelbänden Spâss an Iérscht (1873) und Hiérschtblumen (1887) sowie in der Zeitung Das Luxemburger Land. Weitere Lyrik aus seinem Nachlass wurde posthum anlässlich seines 100. Geburtstags in Wantergréng (1920) publiziert.
Die Themenauswahl seiner Poesie ist vielfältig und geht von Heimatliebe über Gedanken- und Naturpoesie bis hin zu Festtagsdichtung und kritischer Gesellschaftslyrik. Zwei seiner bekanntesten Gedichte haben beim Erwachen des Nationalbewusstseins und bei der Identitätsfindung der Luxemburger eine wichtige Rolle gespielt: das 1864 von Jean Antoine Zinnen vertonte Gedicht Ons Hémécht, das mit seiner ersten und vierten Strophe durch das Gesetz vom 27. Juli 1993 zur Nationalhymne erhoben wurde, und das von ihm selbst vertonte Gedicht D'Lezeburger. Erenneronk un de 4. October 1859, das anlässlich der Einweihung der ersten luxemburgischen Eisenbahnlinie entstanden war und das unter dem Titel De Feierwon zu einer Art zweiter Nationalhymne wurde. Der letzte Vers des Feierwon „Mir welle bleiwe wat mer sin.“ ist wohl der meistzitierte Satz aus der Luxemburger Literatur. Er wurde, auch in abgewandelten Formen wie z. B. „Mir welle jo keng Preisen ginn“, im Laufe der Geschichte, insbesondere während der deutschen Besatzungsperioden von 1914-1918 und 1940-1945, zum symbolischen Bekenntnis der Luxemburger zur nationalen Unabhängigkeit ihres Heimatstaats.
Die patriotischen Lieder, durch die Michel Lentz vor allem bekannt wurde, feiern das kleine, idyllische, von Einigkeit, Wohlstand, Frieden und Freiheit geprägte Luxemburg. Sie zeichnen ein Land, in dem die Menschen ehrlich, sparsam und fleißig ihrer Arbeit nachgehen und sich gerne in ihr von Gott gelenktes Leben fügen. Die Lieder zeugen von seiner tiefempfundenen Heimatliebe, die sich dann und wann mit Heimatstolz verbindet. Sie wurden zum Ausdruck des Identitätsgefühls, Freiheits- und Unabhängigkeitsstrebens der Luxemburger.
Manche seiner Gedichte gehören zur Gattung der Naturlyrik. In ihnen werden der Wechsel der Jahreszeiten, die Flora und Fauna Luxemburgs sowie die Landschaften und Monumente der Heimat geschildert. Besonders beliebt sind die vertonten Blumenlieder, so z. B. D’Margrétchen. Zu allen möglichen Festtagen und Feierlichkeiten, wie zu Allerseelen, Sankt-Nikolaus, Silvester, Fastnacht, Kirmes und Schobermesse, verfasste Michel Lentz Gedichte. Authentische Genrebilder entstanden über bestimmte Berufsgruppen und Menschentypen wie die Näherin, den Schmied, den Lumpenkrämer, den Scherenschleifer, den Perückenmacher und den Zigeuner. An die Kinder wandte er sich mit Wiegenliedern, Kinderspielen und Schulgedichten.
Zahlreiche Gedichte widmete Michel Lentz den Vereinsfeiern des Bürgerkasinos, des Allgemeinen Musikvereins und des Turn- und Theatervereins „Gym“ in Luxemburg, bei dessen Theateraufführungen er, wie auch sein Konkurrent Dicks, als Schauspieler und Sänger auftrat und zu deren Gründer und Hauptstütze er zählte. In den 1850er Jahren verfasste er „Intermèdes“, Zwischenspiele für die Pausen zwischen den Akten, wie z. B. Fir d’Gèld, sowie Monologe, dramatische Szenen, die er dem Theaterpublikum in Soloauftritten selbst vortrug. Mit diesen Intermezzi und Monologen, die mit Situationskomik und bildhaften Redewendungen spielen, kann Michel Lentz als Wegbereiter für die Dicks‘schen Komödien angesehen werden. Während Lentz bis Mitte der 1850er Jahre als Autor, Regisseur, Schauspieler und Sänger in der „Gym“ den Ton angab, wurde er von seinem Rivalen Dicks, nach der Uraufführung von dessen Scholtscheîn und weiterer musikalischer Komödien 1855 und 1856, kurzzeitig in den Hintergrund gedrängt.
Einige von Michel Lentz‘ Gedichten sind Gelegenheitsarbeiten, entstanden z. B. zu Ehren bekannter Persönlichkeiten wie Félix Thyes, Peter Klein, Auguste und Norbert Metz oder Frau Auguste Dutreux. Die wenigen in deutscher Sprache verfassten Gedichte sind meist Fürsten gewidmet, z. B. dem Prinzen Heinrich der Niederlande und seiner Frau Amalia sowie König-Großherzog Wilhelm II.; sie drücken seine Verehrung für die Dynastie Oranien-Nassau aus.
Doch beschränkte sich seine Poesie nicht auf Heimat-, Natur- und Genrelyrik, denn Michel Lentz setzte sich in manchen Werken auch für die Verteidigung individueller Freiheiten ein. In dem Gedicht Den Typografestand preist er die Erfindung des Buchdrucks als Beginn der menschlichen Befreiung von Erniedrigung und Unterdrückung, als Entstehung von Aufklärung, Wissenschaft und Kunst. In De Filchen kritisiert er die Ausübung der Zensur und fordert das Ende von bürokratischer Knechtschaft und Despotismus sowie Gedankenfreiheit als Menschenrecht.
Michel Lentz schrieb sowohl besonnene, nachdenkliche und moralisierende Lyrik über Familie, Freundschaft, Treue, Arbeit und Armut als auch spöttisch-kritische, ironisch-satirische und humorvolle Gedichte zu Themen wie die Jugend, das Athenäum, einen Ministerwechsel, aber auch über die neue Magd im Haus, die bestimmt, wo’s langgeht (Èng nei Mod) und über den „Idealisten“, der nur an gutem Essen und Trinken interessiert ist (En Idéalist fun haut). Als besonders berührend gelten seine melancholischen Gedichte zu Vergänglichkeit und Mutterliebe, wie Wé méng Mamm nach hûot gesponnen, sowie seine Lieder zur Sehnsucht der Amerika-Auswanderer nach ihrer Heimat, wie An Amérika und Heemwéi.
Viele seiner Gedichte sind von ihm selbst und seinem Sohn Edmond Lentz, von Dicks, Jean Antoine Zinnen, Laurent Menager, J.A. Müller, Gustav Kahnt und Albert Thorn vertont worden.
Veröffentlichungen
-
Jahr1873
-
Jahr1879
-
Jahr1887
-
Jahr1920
-
Jahr1980-1981
Mitarbeit bei Zeitungen
-
Titel der ZeitschriftenBauerekalenner / Letzeburger Bauere-KalennerVerwendete NamenMichel Lentz
-
Titel der ZeitschriftenCahiers luxembourgeois (Les). revue libre des lettres, des sciences et des artsVerwendete NamenMichel Lentz
-
Titel der ZeitschriftenCourrier du Grand-Duché de LuxembourgVerwendete NamenMichel Lentz
-
Titel der ZeitschriftenLuxemburger Land (Das). Organ für vaterländische Geschichte, Kunst und LiteraturVerwendete NamenMichel Lentz
-
Titel der ZeitschriftenLuxemburger Land in Wort und Bild (Das). Illustrierte Wochenschrift für inländische Geschichte, Altertumskunde, [...]Verwendete NamenMichel Lentz
-
Titel der ZeitschriftenZeitung für kleine LeuteVerwendete NamenMichel Lentz
Sekundärliteratur
-
Autor(in) Redaktion (Die) (Nikolaus Steffen)
Jahr1869-1870 -
Autor(in) Unbekannt
Jahr1873 -
Autor(in) Unbekannt
Jahr1873
Mitgliedschaft
-
Gym
Archiv
Fotogalerie
Zitiernachweis:
Muller, Roger/Weber, Josiane: Michel Lentz. Unter: , aktualisiert am 20.11.2023, zuletzt eingesehen am . -