Tom Reisen
Tom Reisen ist der Sohn von Edmond Reisen. Während seiner Sekundarstudien am Lycée de garçons in Luxemburg beteiligte er sich mehrere Jahre hindurch an Poesieateliers, die von Nic Klecker und Pierre Mergen geleitet wurden. Anschließend studierte er Romanistik an der Universität Caen in der Normandie und unterrichtete zur gleichen Zeit Französisch in Abendkursen der Alliance française. Nach einem Forschungsaufenthalt in Paris zwischen 1999 und 2001 promovierte er 2001 in Caen mit einer genetisch-kritischen Arbeit über L'immoraliste von André Gide. Von 2002 bis 2004 arbeitete er als Forschungsassistent am André Gide On-Line Press Archive der Universität Sheffield. Ab 2004 lebte er in Luxemburg und arbeitete beim Tageblatt, zunächst als Redakteur und von September 2006-2008 als stellvertretender Chefredakteur. Seit 2008 ist Tom Reisen im luxemburgischen Außenministerium tätig. Zwischen 2012 und 2016 arbeitete er in New York bei der luxemburgischen UNO-Vertretung, bevor er 2016 der luxemburgischen Vertretung der UNESCO in Paris beitrat. Seit 2020 lebt Tom Reisen wieder in Luxemburg.
Tom Reisens Forschungsgebiet ist in erster Linie André Gide und der Schriftstellerkreis der Nouvelle Revue française. Seine Arbeit zu L'Immoraliste, welche neue Aspekte in der Entstehung dieses Werkes aufzeigt, wurde in der Pléiade unter der Leitung von Pierre Masson rezipiert (Romans et récits I und II, Gallimard 2009). Er veröffentlicht literaturwissenschaftliche Artikel zu André Gide in den Presses universitaires de Caen (Gide aux miroirs, 2002), French Studies (Oxford University Press, 2005) et im Bulletin des Amis d'André Gide sowie zahlreiche Beiträge zur französischen Literatur und zum Luxemburger Kulturleben in den Zeitschriften d'Lëtzebuerger Land, Le Quotidien, Tageblatt und Galerie. Er veröffentlichte außerdem in Literaturzeitschriften wie La Nouvelle Revue française, Traversées und Les Cahiers luxembourgeoises. Von 1996 bis 2002 war Reisen Redaktionsmitglied von Estuaires. Seine Monografie Comme une promesse (Luxemburg, 2004) ist ein Abriss über die Geschichte dieser von Nic Klecker und Émile Hemmen gegründeten Literaturzeitschrift. Reisen vertrat Luxemburg 1994 bei den Jeux de la Francophonie in Frankreich mit der phantastischen Kurzgeschichte Le Gardien de nuit, die am Théâtre du Rond-Point in Paris vorgestellt wurde. Er nahm an Foren und Literaturveranstaltungen teil, u.a. am Transeuropaexpress (Rom, 2005) und am Poesiefestival von Berlin (2012).
2001 veröffentlichte Tom Reisen die Jugendgedichtsammlung Dialogue des limbes. Diese im Zeichen des orphischen Gesangs und in symbolistischer Tradition stehende Poesie lässt Landschaften erstehen, die von Fremdheit und Melancholie durchdrungen sind und in denen Traum und Wirklichkeit verschmelzen. Mit der 2011 erschienenen Sammlung été wandte sich Reisen dem poetischen Fragment in reflektierender Prosa zu. Zeit (besonders die saisonale) und Raum (oft der urbane) nähren darin einen melancholischen Gedanken, der seine eigenen Grundfesten hinterfragt. Spanische, rumänische und deutsche Übersetzungen dieser Gedichte sind in den Zeitschriften abril, Poezia und Das Gedicht erschienen.
Das Jahr 2018 markierte mit der Hinwendung zur Prosa einen Wendepunkt in Tom Reisens Schaffen. In der Kurzgeschichtensammlung Les Bulles dient die Stadt New York als privilegierter Schauplatz für die Einsamkeit und die Zweifel von neun Figuren, deren Lebensumfeld plötzlich Erschütterungen unterschiedlicher Stärke ausgesetzt ist. Ihre Lebensblasen oder Mikrokosmen sind umso fragiler, da sie oft auf Ausblendung und Rückzug gründen, obwohl das sie umgebende hektische Stadtleben der Enge der imaginären Welt entgegensteht.
Die Stadt als literarische Matrix steht auch im Mittelpunkt von Tom Reisens erstem Roman Miroir ambulant (2020). Als Fortführung der Betrachtungen über Identität und das Verhältnis zur Zeit setzt die Handlung, die in diesem Fall auf der rätselhaften Konfrontation zwischen einer Figur und ihrem gleichnamigen Gegenüber beruht, noch stärker auf Spiegeleffekte, die Figur des Doppelgängers und den Illusionsgedanken. Der Autor stellt mehrere Erzählstimmen in den Dienst einer Ermittlung, ja einer Suche, in deren Verlauf die zersplitternde Chronologie und Realität Zweifel in Hinblick auf die Mittel sät, mit denen ein Leben wiedergegeben wird. Die Verfahren, mit denen die Erzählung manipuliert wird, insbesondere durch das Bild, orientieren sich auch an kinematografischen Vorbildern, darunter Hitchcocks Film Vertigo, und verweisen auf postmodernistische Erzählstrategien, von denen sie sich zugleich lösen. Die 2004 von Reisen in der Wochenzeitung Le Jeudi veröffentlichte Feuilletonerzählung La Disparition de Roman lässt diese erzählerischen Mittel bereits erahnen und führt die Hauptfigur des späteren Romans ein.
Sein in zwei Teile gegliederter Essay L’Écriture au miroir, der 2022 in der Reihe Discours sur la littérature (CNL)veröffentlicht wurde, konzentriert sich in erster Linie auf die Kontextualisierung einer persönlichen Schreibpraxis, die durch Intertextualität bereichert und von einem Interesse an Gedächtniskultur bestimmt wird. Der Autor widerlegt darin den autobiografischen Charakter seines Werkes, indem er auf Selbstreferenzialität zurückgreift. Im zweiten Teil erstrecken sich seine Überlegungen auf die luxemburgische Literaturszene. Er reflektiert unter anderem über die Rezeption der Nationalliteratur und beschäftigt sich aus mehreren theoretischen Blickwinkeln mit der Frage der noch zu schreibenden Literaturgeschichte.
Verschiedene Texte von Tom Reisen wurden in Anthologien aufgenommen, darunter Où demeurer ailleurs que là (Esch/Alzette 2007), Graphiti 100 (Esch/Alzette 2016), Tétras Lyre 1988-2018 (Lüttich 2018) und Lignes de partage (Paris 2021).
2022 erschien ein Gedicht von Reisen in spanischer Übersetzung in der Zeitschrift abril. Im selben Jahr wurde der Erzähland Les Bulles (Οι Φούσκες) ins Griechische übersetzt.
Seine Erzählung L’Absente erhielt im Jahr 2000 eine Auszeichnung beim Concours littéraire national. Für den Band Les Bulles erhielt Reisen anlässlich der Walfer Bicherdeeg 2019 den Lëtzebuerger Buchpräis in der Kategorie Belletristik.
Veröffentlichungen
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Jahr2001
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Titel ÉtéJahr2011
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Titel Les Bulles. MicrorécitsJahr2018
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Jahr2020
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Jahr2022
Übersetzungen
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Titel Οι Φούσκες = Oi FoúskesSprache GRC
Mitarbeit bei Zeitungen
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Titel der ZeitschriftenabrilVerwendete NamenTom Reisen
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Titel der ZeitschriftenCahiers luxembourgeois (Les). revue libre des lettres, des sciences et des artsVerwendete NamenTom Reisen
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Titel der ZeitschriftenEstuaires. Revue culturelleVerwendete NamenTom Reisen
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Titel der ZeitschriftenGalerie. Revue culturelle et pédagogiqueVerwendete NamenTom Reisen
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Titel der ZeitschriftenGedicht (Das). Zeitschrift für Lyrik, Essay und KritikVerwendete NamenTom Reisen
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Titel der ZeitschriftenJeudi (Le). l'hebdomadaire luxembourgeois en françaisVerwendete NamenTom Reisen
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Titel der ZeitschriftenLëtzebuerger Land (d') / d'Letzeburger Land / LL. unabhängige Wochenschrift für Politik, Wirtschaft und KulturVerwendete NamenTom Reisen
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Titel der ZeitschriftenNouvelle Revue Française (La) / N.R.F.Verwendete NamenTom Reisen
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Titel der ZeitschriftenQuotidien (Le)Verwendete NamenTom Reisen
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Titel der ZeitschriftenTageblatt / Escher Tageblatt = Journal d'Esch. Zeitung fir LëtzebuergVerwendete NamenTom Reisen
tr -
Titel der ZeitschriftenTraversées. Revue littéraire trimestrielleVerwendete NamenTom Reisen
Sekundärliteratur
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Autor(in) Corina Ciocârlie
Jahr2001 -
Autor(in) Jalel El Gharbi
Jahr2001 -
Autor(in) Guy-Joseph Feller
Jahr2001
Auszeichnungen
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Jahr 2000
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Jahr 2019
Archiv
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CNL L-0112
Fotogalerie
Zitiernachweis:
Schmit, Sandra/Jehin, Ludivine: Tom Reisen. Unter: , aktualisiert am 15.09.2023, zuletzt eingesehen am . -