Jeff Schinker
Jeff Schinker besuchte die Grundschule in Monnerich (1991-1997) und anschließend das Athenäum in Luxemburg (1997-2004). 2004 studierte er französische Literatur- und Sprachwissenschaft an der Universität Luxemburg und setzte den Studiengang an der Universität Paris-Sorbonne Paris IV fort. Dort erlangte er 2009 ein Master-Diplom in Vergleichender Literaturwissenschaft. Seit 2010 arbeitet er an einer Doktorarbeit mit dem Titel Les Mondes (im)possibles du roman contemporain, die unter Rückgriff auf Philosophie und Narratologie sowohl die Darstellung der Wirklichkeit als auch den Realitätsbezug in zeitgenössischen Werken, etwa von Volodine, Chevillard oder Ishiguro, untersucht. Von 2010 bis 2014 arbeitete der Autor als Doktorand an der Universität Luxemburg. Von 2016 bis 2023 arbeitete Jeff Schinker als Leiter der Kultur-Redaktion der Luxemburger Tageszeitung Tageblatt. Heute ist er Koordinator in der Redaktion Musik und Kultur beim Radio 100,7.
2015 veröffentlichte Jeff Schinker Retrouvailles, eine Novelle um einen Protagonisten, der ein Treffen unter alten Freunden veranstaltet und gleichzeitig schildert. Im Laufe der zunächst oberflächlich und banal erscheinenden Zusammenkunft werden unbequeme Wahrheiten enthüllt. Die Erzählung in drei Teilen verdeutlicht in mehreren "mises en abyme" die aufkommende Verwirrung zwischen den Gästen, etwa anhand einer Liebesgeschichte als Rahmenerzählung, der Einfügung eines Märchens sowie eines Ratespieles. Der komplexe Stil des Autors verstärkt die verschachtelten Erzählebenen und die reellen sowie imaginären Spiele im Text. 2018 erscheint Sabotage, ein Erzählband in vier Sprachen (Französisch, Luxemburgisch, Englisch und Deutsch), in dem Schinker seine Protagonisten mit den Auswüchsen und Perversionen der Arbeits- und Beziehungswelt einer neoliberalen Gesellschaft konfrontiert. Neben der Darstellung der Gemütszustände seiner Protagonisten und den Herausforderungen der vorgeführten Situationen (eine Teambuilding-Übung oder die Verleihung eines Literaturpreises), nutzt der Autor das Schreiben vor allem als erzähltheoretische und (meta)fiktionale Spiel- und Experimentierwiese die auch der auktorialen Selbstdarstellung Raum bietet. Mit seinem opulenten und komplexen, von Doppeldeutigkeit geprägten Stil stellt Jeff Schinker sein Schreiben in die Tradition der Postmoderne (er zitiert Derrida, Lacan, Foucault und Deleuze und greift auf die von Genette entwickelte Terminologie zurück). Darüber hinaus wird der Erzählband von Bezügen und Anspielungen auf die Besonderheiten der zeitgenössischen Luxemburger Literaturszene durchzogen. Dadurch nimmt der Autor, wie im Titel des Werkes angekündigt, eine Art Sabotage vor: Er unterläuft sowohl die Handlung und die Figuren als auch sein eigenes Schreiben und seine Identität als Schriftsteller, indem er sie Zwängen unterwirft, die ständig den literarischen Vertrag gefährden. Der 2021 erschienene Roman Ma vie sous les tentes knüpft an einen spaßigen, unbändigen Schreibstil an, der mit seinen eigenen Mechanismen spielt, seine Konstruiertheit betont und durch Selbstironie, Abschweifungen oder sogar Fußnoten die zugrundeliegenden Prozesse durchkreuzt. Sich auf Erinnerungen stützend, schildert ein junger Schriftsteller und leidenschaftlicher Festivalbesucher Szenen eines ungewöhnlichen Zeltlagerlebens, unwahrscheinliche Begegnungen und haarsträubende Reisen durch Belgien, Frankreich oder England, um die Haltung eines Widerständlers zu entwickeln, der, mal jungenhaft, mal desillusioniert, der kapitalistischen Bedrohung die belebende und utopische Welt der Festivalorte entgegensetzt, wo sich Freundschaften als besonders stabil entpuppen und sich die grundlegendsten existenziellen Bedürfnisse herauskristallisieren. Fragmentiert und mit einem Hauch von Epos, ist das Schreiben als Zuflucht hier ebenso unsicher wie ein schlecht aufgebautes Zelt, dessen Bewohner, gequält von einem chaotischen Liebesleben und dem Ekel vor einer formatierten Gesellschaft, die Abgeschiedenheit als letztes Mittel wahrnimmt, um sich den Lebenshauch zu bewahren, der ihn antreibt. Begleitet wird die Erzählung von musikalischen Anregungen und Illustrationen von Alasdair Reinert.
Seit 2014 organisiert, moderiert und beteiligt sich Jeff Schinker unter dem Pseudonym Albert Moindre – in Anlehnung an eine in den Werken von Éric Chevillard wiederkehrende Figur ‒ an der Lesereihe "Désœuvrés ‒ Work in Progress" im Café Rocas in Luxemburg-Stadt. Im gleichen Café nimmt er auch an der von Christian Happ, Francis Kirps und Claudine Muno gegründeten "Lesebühne" teil. Des Weiteren las er im Rahmen der vom Kollektiv Independent Little Lies organisierten "Impossible readings" aus seinen Werken.
Des Weiteren veröffentlichte Jeff Schinker Chroniken und kulturelle Beiträge im Luxemburger Wort und in dessen Beilage Die Warte sowie im kulturissimo. Er lieferte auch Beiträge für Sammelbände, etwa Fragment 3793 (2013), Impossible Readings/Lecture impossible (2016) und Fresh from the Fountain (2018), und veröffentlichte 2017 unter dem Pseudonym Torpedo Munroe in den Cahiers luxembourgeois. Im Jahr 2020 beteiligte sich Schinker am Schreibprozess von Vrais masques et fausses façades, einem Roman noir des Autorenduos Serge Basso de March und Enrico Lunghi.
An der Seite von Ian De Toffoli, Olivier Garofalo und Nico Helminger beteiligte er sich 2017 am Projekt Oh du do uewen, deem seng Hand, das diverse Neuinterpretationen griechischer Mythen auf die Bühne des Kasemattentheaters brachte. 2019 verfasste er eine luxemburgische Adaption des deutschen Volksmärchens Rapunzel (hier Rabonzel), die in einer Inszenierung von Charles Muller im Grand Théâtre de Luxembourg aufgeführt wurde. In dieser zeitgenössischen Version hat die Protagonistin musikalische Ambitionen, die dazu führen, dass sie sich in der trügerischen Welt eines skrupellosen Agenten verfängt. Im weiteren Verlauf geht es darum, zu entdecken, dass ein Wunsch, so stark er auch sein mag, es nicht wert ist, dass man seine Seele und Ideale dafür opfert. Das Stück Bouneschlupp (2022), das den Rassismus in Luxemburg thematisiert, wurde vom Kollektiv Finestra im Rahmen von Esch2022 aufgeführt. Dieses Thema wird auch in dem mehrsprachigen Stück PatrIdiot verhandelt, in dem zwei Schauspielerinnen bei einer Theaterprobe und vor dem Hintergrund einer drohenden Regierung Luxemburgs durch Rechtsextremisten im Jahr 2028, aufgefordert werden, den hinter einer vermeintlichen geistigen Aufgeschlossenheit versteckten, latenten Rassismus zu entlarven. Dieses Stück wurde 2023 im Théâtre des Casemates uraufgeführt und anschließend in dem Sammelband Theater. Théâtre. Theatre. Theater 1 (2023) veröffentlicht.
Die Kurzgeschichte Plagiat(s) wurde 2010 beim Wettbewerb zum 30. Geburtstag der Zeitschrift nos cahiers ausgezeichnet und darin veröffentlicht. 2016 nahm Jeff Schinker an einer Autorenresidenz im Literarischen Colloquium in Berlin teil. 2017 zählte er, zusammen mit dem Künstler Serge Ecker und der Fotografin Neckel Scholtus, zu den drei Luxemburgern, die für die Jeux de la francophonie in Abidjan (Elfenbeinküste) ausgewählt wurden. Er veröffentlichte seine Eindrücke im Tageblatt.
2023 war der Autor Stipendiat der Autorenresidenz am Literarischen Colloquium in Berlin (LCB & Bourse Bicherfrënn).
Er ist Mitglied und seit 2023 Vorsitzender des Schriftstellerverbandes A:LL Schrëftsteller*innen.
Veröffentlichungen
-
Titel RetrouvaillesJahr2015
-
Titel SabotageJahr2018
-
Jahr2021
-
Jahr2023
Mitarbeit bei Zeitungen
-
Titel der ZeitschriftenCahiers luxembourgeois (Les). revue libre des lettres, des sciences et des artsVerwendete NamenJeff Schinker
Torpedo Munroe -
Titel der Zeitschriftenkulturissimo. mensuel culturel et socio-politiqueVerwendete NamenJeff Schinker
-
Titel der ZeitschriftenLuxemburger Wort / d'Wort / LWVerwendete NamenJeff Schinker
-
Titel der Zeitschriftennos cahiers. Lëtzebuerger Zäitschrëft fir KulturVerwendete NamenJeff Schinker
-
Titel der ZeitschriftenTageblatt / Escher Tageblatt = Journal d'Esch. Zeitung fir LëtzebuergVerwendete Namenjs
-
Titel der ZeitschriftenWarte (Die) = Perspectives. Supplément culturel du WortVerwendete NamenJeff Schinker
-
Titel der ZeitschriftenWIP. Littérature sans filtreVerwendete NamenJeff Schinker
Sekundärliteratur
-
Autor(in) Frank Wilhelm
Jahr2015 -
Autor(in) lc (Luc Caregari)
Jahr2015 -
Autor(in) Franck Colotte
Jahr2015
Auszeichnungen
-
Jahr 2010
-
Jahr 2016
Mitgliedschaft
-
A:LL Schrëftsteller*innen
Weblinks
Fotogalerie
Zitiernachweis:
Jehin, Ludivine: Jeff Schinker. Unter: , aktualisiert am 06.03.2024, zuletzt eingesehen am . -