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Foto: Gilles Ortlieb


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© Philippe Matsas/CNL

Gilles Ortlieb

Ksar-es-Souk (heute Errachidia) ()

Gilles Ortlieb wurde in Marokko geboren und verbrachte seine Kindheit in Meknès und in Casablanca. Danach besuchte er das Lycée Michelet in Vanves (F). Nach dem Abitur 1970 studierte er Altphilologie an der Sorbonne und anschließend Neugriechisch am Institut national des langues et civilisations orientales. Von 1977 bis 1978 arbeitete er als Lehrer am Institut d'études néo-helléniques, von 1980 bis 1982 als Redakteur im Presse- und Kommunikationsdienst des französischen Premierministers und danach als selbständiger Übersetzer u. a. der Sachbücher Les Royaumes précolombiens (1982), Assise (1985) und Sous le signe d'Isis et d'Osiris (1986). Zwischendurch unternahm er viele Reisen nach Griechenland und durch den Mittelmeerraum. 1986 trat er in den Übersetzungsdienst des Europäischen Parlamentes ein, den er 2012 verließ um in Rente zu gehen. Zurzeit lebt er in Paris.

Gilles Ortlieb veröffentlicht vor allem Prosagedichte und Erzählungen. Nach Brouillard journalier (1984) beschreibt Soldats et autres récits (1991) die Erfahrung des 1978-79 in der Stadt Trier, die damals eine französische Garnisonsstadt war, geleisteten Militärdienstes. In seinen Werken schlendert der Autor durch verlassene Gebiete ‒ in Tombeau des anges (2011) und Liquidation totale (2011) evoziert er etwa die nahe an der luxemburgischen Grenze gelegenen Orte in Lothringen, die infolge des Niedergangs der Stahlindustrie vom wirtschaftlichen Verfall, von Immigration, Armut, Landflucht aber auch von Solidarität geprägt sind ‒, sammelt kleine Alltagsgeschehen, verzeichnet veraltete Ausdrücke, erfasst ausgestorbene Berufe und Fassaden verlassener Geschäfte. Alle seine Texte beinhalten detaillierte Beobachtungen sowie eine wiederkehrende Unschlüssigkeit und Unentschlossenheit die einem vage distanzierten, zugleich aber sehr aufmerksamen Erzähler eine vorsichtige Betrachtung seines Umfelds ermöglichen. Als Flaneur entdeckt der Autor Länder und Gegenden mit einem wandernden Blick. Reflexion über Alterität und Introspektion sind an immer wiederkehrende Motive wie jene der Reise (etwa nach Brüssel in Poste restante, 1997 oder Les Tramways de Bruxelles, 2002), des Zuges (Le Train des jours, 2010 oder Place au Cirque, 2002) und des Rauchs von Fabriken und Zigaretten gebunden. In Werken wie Gibraltar du Nord (1995), Carnets de ronde (2004), Meuse Métal, etc. (2005) oder Petit-Duché de Luxembourg (1991) werden die Jahre, die der Autor im Großherzogtum verbrachte, sowie die unzähligen Ausflüge in Nachbarländer, die er von dort unternahm, evoziert. Der im Titel Petit-Duché de Luxembourg angedeutete Sarkasmus und die damit verbundene Desillusion des zweifelnden Exilanten werden in den versöhnlichen Prosaminiaturen von Vraquier (2013), die sein letztes Jahr in Luxemburg Revue passieren lassen, leicht abgemildert. 2018 veröffentlicht Gilles Ortlieb Pavillon Moïana, eine sehr kurze Erzählung, in der er sich, im Rhythmus der letzten Besuche bei seinem Bruder im „Pavillon Moïana“ des Krankenhauses Saint-Antoine in Paris, an dessen Tod erinnert und sich nüchtern mit der angesichts der Krankheit sichtbar schwindenden Lebenszeit auseinandersetzt.

Andere Werke, wie etwa Au grand miroir (2005), À eux-mêmes inconnus (2006), Des orphelins (2007) und Dans les marges (2016), verweisen auf literarische Verwandtschaften und liefern Porträts von Schriftstellern, unter anderem von Charles Baudelaire, Emmanuel Bove, Henri Thomas, Paul de Roux, Mikhaïl Mitsakis, oder von Künstlern, wie etwa Jan Lebenstein und Thomas Jones. Gleichermaßen widmet Gilles Ortlieb das Buch Ângelo (2018) einem wenig bekannten portugiesischen Schriftsteller namens Ângelo de Lima (1872-1921). Während einer Spurensuche in Lissabon, Porto und Mosambik, lässt er die wenigen Orte und Dokumente, die vom rätselhaften Lebenspfad dieses Autors Zeugnis geben, auf sich wirken. Nach kurzem Erfolg im Umfeld der portugiesischen literarischen Avantgarde verliert sich der Lebensweg des Lyrikers, und er stirbt vorzeitig in einem psychiatrischen Krankenhaus in Lissabon. 2019 wurde sein Interesse am Leben und Werk von Arthur Adamov, einem französischen Schriftsteller, Übersetzer und Dramaturg mit russisch-armenischen Wurzeln, der kurzzeitig mit Ionesco, Beckett und dem absurden Theater in Verbindung stand und dann in Vergessenheit geriet, zum Gegenstand des Essays Un dénuement. Arthur Adamov. Das Buch enthält überdies Zeitzeugenberichte von Laurent Terzieff, Pierre Minet und Jacqueline Autrusseau, sowie ein Gedicht von Henri Thomas. De fonte en comble (2023) erstellt anhand von Fotos eine Kartografie von Kanaldeckeln aus verschiedenen Regionen der Erde, die durch ihre Vielfalt und die geheimnisvolle Unterwelt, die sich darunter vermuten lässt, den Blick auf sich ziehen.

Gilles Ortliebs Werke überschneiden sich und viele seiner Texte wurden neu aufgelegt. Beispiele sind etwa einige Chroniken aus der Beilage Livres-Bücher, die in Vraquier aufgenommen wurden. Letzterer Band beinhaltet des Weiteren einen Auszug aus En pays gommé. Petit-Duché de Luxembourg wurde fast gänzlich in Place au cirque übernommen. Soldats et autres récits wurde teilweise im Vorfeld in drei verschiedenen Zeitschriften (Nouvelle Revue française, bas de casse und Légendes) veröffentlicht, sodann 2014 unter dem gleichen Titel aber mit kleinen Eingriffen neu aufgelegt. Et tout le tremblement enthält einige Texte, die in den Zeitschriften Fario, La Moitié du Fourbi, Rehauts, Théodore Balmoral und in der Beilage Livres-Bücher veröffentlicht wurden, und greift eine leicht umschriebene Fassung von Les Tramways de Bruxelles auf. Des Weiteren beinhaltet Dans les marges Texte, die zuvor in Sept petites études, La Nouvelle Revue française oder Théodore Balmoral veröffentlicht wurden. 2022 erschien darüber hinaus eine überarbeitete und erweiterte Neuauflage des Werks La Nuit du Moyeuvre.

Der Schriftsteller ist zudem Literaturübersetzer. Er übersetzte Werke von Constantin Cavafy, Georges Séféris, Mikhail Mitsákis, Thanassis Valtinos, Dionysios Solomos, Nikos Kavvadias sowie griechische Volkserzählungen ins Französische. Außerdem übertrug er Frank Wedekind et Patrick Roth aus dem Deutschen sowie Patrick McGuinness und Stephen Romer aus dem Englischen ins Französische. 2020 übersetzte er Heines Gedicht Die Loreley (1824) für den Band La Loreley, der sowohl alle historischen Übersetzungen des Gedichts als auch Neuübersetzungen durch zeitgenössische Autoren versammelt. Sein eigenes Werk Petit-Duché de Luxembourg erschien 2007 in italienischer Übersetzung. 2018 wurden die beiden Erzählungen Ce qu’il reste de la beauté und Episkopi aus Et tout un tremblement von seiner Ehefrau Eleanna Vlachou ins Griechische übersetzt.

2014 war Gilles Ortlieb Herausgeber von Au jour le jour 5, einem Band aus der Reihe von Notizbüchern von Paul de Roux.

Er ist Mitarbeiter vieler Zeitschriften wie La Route inconnue, Fario, La Moitié du Fourbi, bas de casse, L'Animal, Légendes, Théodore Balmoral, Revue de Belles Lettres, Rehauts, Chef-Lieu, Po&sie, La Nouvelle Revue française, wo er 1977 seine ersten Texte publizierte, oder abril und Tageblatt in Luxemburg. Er veröffentlichte in Anthologien und Sammelbänden, etwa Iwwer Grenzen (Luxemburg, 2007), Où demeurer ailleurs que là (Esch/Alzette, 2007), Fragment 3793 (Luxemburg, 2013), Writing the Real: A Bilingual Anthology of Contemporary French Poetry (London, 2016), Dictionnaire des mots manquants (Vincennes, 2016) sowie Dictionnaire des mots parfaits (2019), 1910-PM (Mersch, 2020) oder Heures de Paris (Paris, 2022). Er war Mitglied des Redaktionskomitees der Zeitschriften Obsidiane und Le Mâche-Laurier.

2014 war der Autor, zusammen mit Pierre Joris, Jean Portante, Guy Rewenig und Lambert Schlechter, Gegenstand der Ausstellung Prendre le large, die von Corina Ciocârlie kuratiert und vom CNL umgesetzt wurde. Diese Ausstellung untersuchte das Verhältnis dieser Autoren zum geografischen, aber auch fiktionalen Raum Luxemburg.

Im Rahmen von Esch 2022 verfasste er gemeinsam mit Carla Lucarelli das Begleitheft für das Chor- und Orchesterstück Les Voix des Terres rouges, das von Catherine Kontz komponiert wurde.

2012 erhielt Gilles Ortlieb den Prix Servais für Tombeau des anges.

Dieser Artikel wurde verfasst von Claude D. Conter und Ludivine Jehin

Veröffentlichungen

Übersetzungen

Mitarbeit bei Zeitungen

  • Titel der Zeitschriften
    Animal (L'). Littératures, Arts & Philosophies
    Verwendete Namen
    Gilles Ortlieb
  • Titel der Zeitschriften
    Chef-Lieu
    Verwendete Namen
    Gilles Ortlieb
  • Titel der Zeitschriften
    Légendes. Revue littéraire et artistique
    Verwendete Namen
    Gilles Ortlieb
  • Titel der Zeitschriften
    Mâche-Laurier (Le)
    Verwendete Namen
    Gilles Ortlieb
  • Titel der Zeitschriften
    Nouvelle Revue Française (La) / N.R.F.
    Verwendete Namen
    Gilles Ortlieb
  • Titel der Zeitschriften
    Obsidiane. revue de poésie
    Verwendete Namen
    Gilles Ortlieb
  • Titel der Zeitschriften
    Po&sie
    Verwendete Namen
    Gilles Ortlieb
  • Titel der Zeitschriften
    rehauts. revue semestrielle d'art et de littérature
    Verwendete Namen
    Gilles Ortlieb
  • Titel der Zeitschriften
    Revue de Belles-Lettres (La)
    Verwendete Namen
    Gilles Ortlieb
  • Titel der Zeitschriften
    Tageblatt / Escher Tageblatt = Journal d'Esch. Zeitung fir Lëtzebuerg
    Verwendete Namen
    Gilles Ortlieb
  • Titel der Zeitschriften
    Théodore Balmoral
    Verwendete Namen
    Gilles Ortlieb
  • Titel der Zeitschriften
    Traversées. Revue littéraire trimestrielle
    Verwendete Namen
    Gilles Ortlieb

Sekundärliteratur

Auszeichnungen

Zitiernachweis:
Conter, Claude D./Jehin, Ludivine: Gilles Ortlieb. Unter: , aktualisiert am 06.03.2024, zuletzt eingesehen am .