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Foto: Tullio Forgiarini


Foto:
© Philippe Matsas/CNL

Tullio Forgiarini

Luxemburg-Neudorf

Pseudonyme: tuffo

Tullio Forgiarini ist der Sohn eines italienischen Vaters und einer luxemburgischen Mutter. Nach dem Abitur 1985 am Lycée de garçons in Luxemburg studierte er Geschichte in Luxemburg und Straßburg. Seit 1989 unterrichtet er Geschichte, Latein und Geografie am Lycée du Nord in Wiltz, u. a. in Spezialklassen für verhaltensauffällige Schüler.

Tullio Forgiarini schreibt Romane, aber auch Kurzgeschichten, Drehbücher und Theaterstücke, meist für Erwachsene, manchmal für Kinder und Jugendliche. Den Texten gemein sind sozialkritische Themen und schwarzer Humor. In den ersten Jahren verwendete er nur Französisch, später schreibt er zudem auf Luxemburgisch, auf Deutsch und, rar, auf Englisch.

Angeregt durch Série noire-Krimis und Comics schreibt Tullio Forgiarini Kriminalromane und sozialkritische Romane vorwiegend in französischer Sprache, in die er Texte von Baudelaire, über Camus bis zur Rockgruppe Noir Désir einfließen lässt. Sie schildern die Kehrseiten der kleinbürgerlichen luxemburgischen Gesellschaft. Miss Mona (2000) thematisiert sexuellen Missbrauch an Jugendlichen, Scheinheiligkeit und faschistische Tendenzen hinter der intakten Fassade des Bildungs- und Kulturmilieus aus der Sicht der regelmäßig in Forgiarinis Werk auftauchenden Inspektorin und späteren Kommissarin Martine Martin. Diese ermittelt auch in Carcasses (2004), das die Problematik der illegalen Einwanderer, des Menschen- und Frauenhandels aufgreift. La Ballade de Lucienne Jourdain (2001) zeigt in einem blutrünstigen Roadmovie die Befreiung und Selbstverwirklichung einer bis dahin biederen Sechzigjährigen, der ein Schweineherz transplantiert worden war; 2015 und 2022 erschien eine leicht veränderte Neuauflage mit Illustrationen von Vincent Biwer, 2021 eine Übersetzung ins Griechische. Zur Eröffnung des Musée d'Art Moderne Grand-Duc Jean (Mudam) schrieb Tullio Forgiarini 2006 die mit Graffitis von Spike illustrierte Erzählung Karnaval. In den Dialog zwischen einem zwielichtigen Privatdetektiv und einer jungen Museumsangestellten werden Überlegungen zur zeitgenössischen Kunst eingebettet. In La Énième Mort d'Ernesto Guevara de la Serna, dit le Che (2007) verbindet Tullio Forgiarini in den erneuten Ermittlungen von Kommissarin Martine Martin die Mythen vom Bommeleeër, dem Autor einer unaufgeklärten Bombenattentatsserie im Luxemburg der 1980er Jahre, und von Che Guevara, die beide seine Jugend prägten. Céruse (2020) reiht sich in die Serie der französischsprachigen Romane mit schwarzem Touch ein. Ein Gymnasiallehrer verliert seinen Job nach einem Vorfall auf einem Ausflug mit Studenten, der an die Geschichte von Théo J. Fischbach erinnert und verdient anschließend sein Geld als Autor und Ghostwriter. Als er den Auftrag erhält, das Leben vom undurchsichtigen, sehr reichen und todkranken Geschäftsmann Céruse mit all seinen Grausamkeiten niederzuschreiben, stößt er auf Widerstand von Außenstehenden, aber auch auf dunkle Familiengeheimnisse. Wirklichkeit und Fiktion sind nicht mehr so richtig zu unterscheiden. Es ist wiederum Martine Martin, die die rätselhaften Vorfälle, mit denen der Autor konfrontiert wird, untersucht. Der 2018 in der Anthologie Fresh from the Fountain aufgenommene englischsprachige Text Daddy’s Girl ist eine Variation zu Céruse. 2022 erscheinen die luxemburgischen Kurztexte Phantasialand und Un deen Dag, wou ech Auslänner gi sinn .... Während der erste Text Etappen einer Flucht vor dem Krieg in Jugoslawien nach Luxemburg aus der subjektiven Sicht eines Kindes erzählt, dreht der zweite Text um die autobiografische Erfahrung des Autors, in der Grundschule als „Ausländer“ wahrgenommen zu werden.

Die Figur der mittlerweile aus dem Dienst entlassenen Polizistin Martine Martin erscheint auch in den Romans noirs von Serge Basso de March und Enrico Lunghi. 2019 werden Anita Gretsch (Claire Leydenbach), Nathalie Ronvaux, Jeff Schinker und Tullio Forgiarini eingeladen, mit einem eigenen Textbeitrag in die Handlung des Romans Vrais masques et fausses façades (2019) des Autorenduos Basso-Lunghi einzugreifen.

Mit dem Roman Amok (2011) wechselt Tullio Forgiarini das Genre und die Sprache, er setzt sich auf Luxemburgisch mit Themen wie sozialer Verwahrlosung und Gewalt unter Jugendlichen auseinander. Der Text richtet sich auch an Jugendliche. Aus dem Roman entstand in einer Zusammenarbeit von Tullio Forgiarini, Donato Rotunno und Nicolas Steil ein Drehbuch, das unter der Regie von Donato Rotunno verfilmt wurde und im März 2015 unter dem Titel Baby(a)lone in die Kinos kam. Eine Teilübersetzung von Amok ins Englische von Tom Johanns wurde in die Broschüre der Preisträger des European Union Prize for Literature (2013) aufgenommen. Amok wurde von Christian Welter ins Italienische und von Luc Spada ins Deutsche, aber auch ins Serbische, ins Griechische und ins Spanische übersetzt.

De Ritter an der Kartongsrüstung (2016) ist Tullio Forgiarinis erste Geschichte für Kinder, in der zwei junge Ritter Abenteuer erleben in einer Welt zwischen Fantasie und Wirklichkeit. Beide entsprechen nicht den klassischen klischeehaften Rittervorbildern aus den Märchen. 2022 erschien die sich auch an Kinder richtende Tierfabel Barbara, die im Rahmen des Kulturjahres Esch2022 mit Riesenmarionnetten in den Strassen aufgeführt wurde. Eine Maus, Kusine von August Lieschs Maus Ketti, entdeckt auf der Suche nach ihrem verschwundenen Vater auch einiges über Geschichte von Esch. Der Text erschien in vier Sprachfassungen.

Mit Lizardqueen (2016) richtet sich Tullio Forgiarini in deutscher Sprache an eher jugendliche Leser. Er stellt sich dar als Herausgeber eines Tagebuchs, das eine tote junge Frau namens Mona ihm nach ihrem Tod anvertraut. Der Teenager bewegt sich zwischen Erde, Himmel und Hölle, begleitet auf dem Roadtrip von Mutter und Stiefvater, einem Halbengel, Teufeln und anderen Wesen der Zwischen- und Unterwelten. Eine ähnliche Geschichte war schon als französischsprachiges Drehbuchfragment Halfangels in der Anthologie der Walfer Bicherdeeg Hasta la vista, Johnny! (2011) erschienen. Mona Biblisch mit ihren stahlblauen Haaren in Lizardqueen verweist auf Miss Mona, alias Mona Cavalier, die mit blauen Haaren und weißem Makeup anspielt auf Jil Bioskop, Hauptfigur aus Enki Bilals Nikopol-Comictrilogie.

Seit Mitte der 2010er Jahre schreibt und übersetzt Tullio Forgiarini regelmäßig für die Bühne. 2016 wurde sein erstes Theaterstück Du ciel im TOL uraufgeführt. Der vom Autor selbst ins Französische übersetzte Text nimmt sich mit schwarzem Humor der Flüchtlingsfrage an. Ausgangspunkt ist eine scheinbar tote Migrantin mitten in einem Luxemburger Wohnzimmer, die, wieder zum Leben erweckt, die scheinheilige luxemburgische Gesellschaft aufmischt. Die luxemburgische Originalfassung Vum Himmel wurde 2019 von Jean-Paul Maes im Kaleidoskop-Theater in Bettemburg inszeniert. Die Theatertruppe MASKéNADA führte 2018 an einem bis zum Schluss geheimgehaltenen Ort, einem nie fertiggestellten Sanatorium in Wiltz, das Drama Sanity auf, das im Sammelband Kaz am Sak (2021) veröffentlicht wurde. Im Kinneksbond Mamer wurde 2021 Marguerites uraufgeführt, ein Stück, das sich mittels Theater und Tanz mit der Covid-Pandemie auseinandersetzt und Teil des Sammelbandes Connection (2021) ist. Das Theaterstück Le Retour de Lucienne Jourdain wurde 2022 im TOL uraufgeführt und im gleichen Jahr gedruckt. Die Handlung bringt eine Fortsetzung des Romans La Ballade de Lucienne Jourdain auf die Bühne. Mit der Hilfe der titelgebenden Protagonistin versucht ein Kommissar in Pumps die zwei Morde aufzuklären, die während deren Flucht nach Paris begangen worden waren. Neben dem eigenen Stück Du ciel übersetzt Tullio Forgiarini auch Texte anderer, so kam 2021 unter dem Titel Sexe, mensonges et littérature seine Übersetzung von Sex with Strangers von Laura Eason im TOL auf den Spielplan.

Tullio Forgiarini tritt auch vermehrt im Filmbereich als Drehbuchautor auf. Neben der Mitarbeit an der Filmadaptation von Amok unter dem Titel Baby(a)lone (2015) verfasste er auch das Drehbuch zum Kurzfilm Terre promise (2022).

Tullio Forgiarini ist oder war Mitarbeiter von Tageblatt, Livres-Bücher, Forum, Den neie Feierkrop, Grénge Spoun resp. woxx sowie deren literarischer Beilage ex-libris, er schreibt unter anderem Literaturkritiken. 2001 verfasste er im Pariser Journal du Polar die Rubrik Le Petit Dico du Polardeux. Texte von ihm erschienen u. a. in den Anthologien der Walfer Bicherdeeg D'Messer am Réck (2006), Konterlamonter (2008) und Fester feieren (2014), in den Sammelbänden, herausgegeben von Corina Ciocârlie, ... Wat mir sinn. Petites mythologies du Grand-Duché (2008) und En partage - Le Luxembourg d'ici et d'ailleurs (2013), im Schullesebuch Lies de bal (2014), im Band Eng Rees am Krees für Robert Gollo Steffen (2019) sowie in den Hydre-Anthologien Fragment 3793 (2013) und Impossible Readings = Lecture impossible (2016). Einige Texte erschienen in rumänischer, französischer, englischer, italienischer, serbischer, deutscher, griechischer und spanischer Übersetzung.

Der Roman La Ballade de Lucienne Jourdain wurde 2000 beim Literaturwettbewerb Libertés der Vereinigung Liberté de Conscience ausgezeichnet. Für Amok erhielt Forgiarini 2013 den Literaturpreis der Europäischen Union. 2022 erhielt er das Stipendium für dramatisches Schreiben Bourse Edmond-Dune für die Entwicklung seines Stücks Kollektiv Gereiztheet

Dieser Artikel wurde verfasst von Nicole Sahl

Veröffentlichungen

Übersetzungen

Mitarbeit bei Zeitungen

  • Titel der Zeitschriften
    Cahiers luxembourgeois (Les). revue libre des lettres, des sciences et des arts
    Verwendete Namen
    Tullio Forgiarini
  • Titel der Zeitschriften
    ex-libris. ein Informationsblatt der Lieszeechen asbl
    Verwendete Namen
    Tullio Forgiarini
  • Titel der Zeitschriften
    Feierkrop (De) / neie Feierkrop (Den) / DNF. onofhängegt zatirescht Wocheblat
    Verwendete Namen
    Tullio Forgiarini
  • Titel der Zeitschriften
    Journal du Polar. Le mensuel du polar et de la culture urbaine.
    Verwendete Namen
    Tullio Forgiarini
  • Titel der Zeitschriften
    Tageblatt / Escher Tageblatt = Journal d'Esch. Zeitung fir Lëtzebuerg
    Verwendete Namen
    Tullio Forgiarini
  • Titel der Zeitschriften
    woxx (Grénge Spoun). déi aner Wochenzeitung = l’autre hebdomadaire
    Verwendete Namen
    tuffo
    Tullio Forgiarini

Sekundärliteratur

Auszeichnungen

Mitgliedschaft

  • A:LL Schrëftsteller*innen
Zitiernachweis:
Sahl, Nicole: Tullio Forgiarini. Unter: , aktualisiert am 10.07.2024, zuletzt eingesehen am .